Wulf Herzogenrath




 

Licht-Skulpturen in den 20er Jahren

Marginalien zu einem im Schatten liegen den Gebiet der bildenden Kunst

 

 

Um die Arbeiten von Mischa Kuball in einen kunsthistorischen Kontext rücken zu können, muß man nicht so sehr auf die Entwicklung der Licht-Skulptur der letzten 50 Jahre zurückblicken, sondern auf ihre Anfänge. Denn die Entwick-lung seit den Lichtraumen Lucio Fontanas, den ZERO-Utopien der Künstler um 1960 oder der kinetischen Lichtkünstler der 60er und 70er Jahre oder den mit Neon arbeitenden Künstlern hat mit seinem Werk wenig zu tun. Eher könnte hier die grandiose Entwicklung der Lichträume von Yves Klein bis Maria Nordman, der West-Coast-Künstler wie Bruce Nauman oder Robert Irwin und James Turrell genannt werden, die nun wiederum mit dem Folgenden in engem Kontext stehen, aber einen eigenen Beitrag erfordern würden. Kuballs Interesse reicht von architektonischen Großräumen im Stadtbild (siehe Düsseldorf) zu kleinformatigen, autonomen Licht-Skulpturen — eine Spannweite, die erstaunlich vielfältig schon in den 20er Jahren zu sehen war, wenn auch mit anderen Ergebnissen.

 

Jedes vom Menschen Gemachte steht in einem sich neu bildenden Kontext. Ein Haus, eine Säule oder eine Reihe neu gepflanzter Bäume bilden einen neuen Raum, werfen Schatten und setzen ein vielfältiges Beziehungsgeflecht in Gang.

 

Daß das Sonnenlicht Teil der zu gestaltenden Welt ist, bewußt eingesetzt wird von den Architekten und Künstlern, ist eine Selbstverständlichkeit. Ob die Pyramiden mit ihrem Ewigkeitsanspruch vielleicht auch deshalb so geformt sind, weil sie während des Tages relativ wenig Schatten werfen und von allen Seiten gleichwertig im Licht stehen, mag als ein Gedanke hier am Anfang stehen. Wir wissen, daß das Sonnenlicht gezielt als Kalender eingesetzt wurde, ob nun in den Externsteinen bei Detmold, wo in eine Öffnung nur bei der Sommersonnenwende der Strahl der Sonne wirklich bis in den hinteren Raum der Höhle vordringen konnte, oder der Sonnenuhr des Kaisers Augustus auf dem Marsfeld in Rom. Dort errichtete der römische Kaiser seine „Arapacis“, seinen Friedensaltar, genau an der Stelle, wo an seinem Geburtstag, dem 23. September, die Spitze des Schattens des Obelisken hinfiel, um deutlich zu machen, daß mit seiner Geburt die Zeit des Friedens angebrochen sei. Die Lichtskulptur hatte hier also nicht nur einen funktionalen Grund, sondern sogar eine politische Bedeutung.

 

Die „Kalenderbauten“ der Chinesen, Araber und der Inkas in Mittelamerika dienen nicht nur als astronomische Meßgeräte, als statische Uhren mit ihren wandernden Schatten-Zeigern, sondern sind immer zugleich gestaltete und präzis Licht und Schatten begrenzende Skulpturen. Daß diese jahrtausendealte Tradi-tion der Einheit von Funktion und Form in diesen Bautypen bis heute fortlebt, belegen die Radioteleskopen oder auch die Minimal-Skulptur des Sonnen-Observatoriums Kitt Peak in Arizona, 1962 gebaut von Skidmore, Owings und Merrill, die in ihrer vereinfachten Architekturform den Türmen in Mexiko von Matthias Goeritz ähneln. Heute fügt Dani Karavan, aufgewachsen im hellen Licht Kleinasiens, seine Skulpturen oftmals in ihrer Ausrichtung nach dem Lichteinfall in die Landschaft, so zum Beispiel seine große Arbeit in der Karlsaue für die documenta 6 in Kassel 1977. Doch nördlich der Alpen müssen wir uns zumeist mit dem vorherrschend diffusen Licht eines wolkenverhangenen Himmels begnügen, und unsere Künstler verzichten eher auf die Gestaltung mit dem Sonnenlicht. Daß hier Architekten wie Le Corbusier z. B. in Ronchamp mit den variantenreichen Möglichkeiten von scharf herausgeschnittenen Licht-Fenstern bis hin zu weichen Verläufen in den kapellenartigen Rundungen die Möglichkeiten schöpferisch ausbreiten, muß man eher als Ausnahme registrie-ren. Gar die Umlenkung des Sonnenlichtes, schon im Barock als inhaltlich be-deutsame Einbringung des göttlichen Lichtstrahles in das Innere eines Gebäudes wie bei Fosters Bankgebäude in Hongkong, bildet ein raffiniertes, aber eben noch selteneres Beispiel.

 

In unseren nördlichen Gefilden müssen wir eher mit der Dunkelheit auch am Tage rechnen, und so nimmt es nicht wunder, wenn wir spätestens seit den 20er Jahren auch eine immer deutlichere Beschäftigung mit der Erscheinung der Architekturformen in der Nacht finden. Dies geht einher mit der Lichtreklame in den Städten, mit den beleuchteten Wegweisern und Kioskbauten, sowie den Lichtexperimenten auf dem Theater und in der bildenden Kunst, d. h. der Hinwendung der Künstler zur Fotografie als „Lichtkunst“ und sogar der Einbeziehung des künstlichen Lichts in Skulpturen. Die Architekten der Moderne nach dem Ersten Weltkrieg bauten für die Großstadt, für das Leben nach der Arbeit am Abend und in der Nacht. Deshalb entstanden neue Architekturtypen, wie die Lichtspielhäuser, die bewußt auf Lichtformen im Dunkeln der Nacht bauten und raffinierte Raumillusionen durch gestaffelte Lichtlinien hervorriefen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch die neugebauten Kaufhäuser sparten nicht mit dem Einsatz künstlichen Lichts, um plastische oder lineare Formen zu betonen. Ein Meister seines Faches war hier Erich Mendelsohn, der meist die waagerechten Linien, die plastischen Rundungen seiner Bauten mit Licht betonte. Der Berlin-Steglitzer „Titania-Palast“ wurde als Attraktion mit einem 24 Meter hohen Turm bekrönt, dessen Funktion nur in der nächtlich werbenden „Licht-Skulptur“ bestand, in waagerecht übereinander gestaffelten halbkreis-förmigen Lichtringen. Die Hauptfassade der Berliner „Lichtburg“ bestand aus senkrechten monumentalen, durchgehenden Lichtfeldern, die von mehreren waagerecht in die nächtliche Stadt ausstrahlenden Riesenscheinwerfern gekrönt wurde. Das Lichthaus „Luz“ von Richard Dökker in Stuttgart spielte sogar bewußt mit dem schwarz-weißen architektonischen Bandwechsel bei Tag und Nacht, das wie ein Positiv-Negativ die Wirkung umkehrte: weiß am Tag und dunkel in der Nacht die Wandkonstruktion, dagegen weiß strahlend in der Nacht die durchgehenden Fensterbänder.

 

Mit diesen Hinweisen soll der Zeitgeist der 20er Jahre angedeutet werden, der das künstliche Licht als gestalterisches Element im öffentlichen Raum beschreibt und die Glasfassade als ein gestalterisches Element für die Wirkung in der dunkleren Tageszeit einbezieht. Hier muß die Architekturgeschichte auch als eine auf ihre nächtliche Wirkung angelegte Großstadt-Welt teilweise neu geschrieben werden. Mir scheint, daß dieser Aspekt bisher fast völlig übersehen wurde. Gerade auch die Wirkung des Werkstatt-Flügels des Bauhaus-Ge-bäudes mit seiner Glasfassade über drei Etagen wird in den Nachtfotos sichtbar. Auch die Glasbauten von Mies van der Rohe, insbesondere den Barcelona-Pavillon, müßte man als Licht-Architekturen interpretieren, für sein New Yorker Seagram-Building ließ Mies einen vier Meter breiten Lichtgürtel hinter die Fensterfront anlegen, um eine gleichmäßige Ausleuchtung der Glasfenster rundum zu gewährleisten.

 

Daß die Moderne der 20er Jahre auf die Licht-Skulptur-Wirkung Wert legte, sieht man nicht nur daran, daß sie selbst immer wieder auch Nachtaufnahmen ihrer Bauten herstellen und publizieren ließ, sondern daß sich viele brillante Köpfe der Zeit mit diesen Problemen beschäftigten: Hugo Häring schrieb in der bauhaus-Zeitschrift: „Also überall vollkommene Gegensätze zum historischen Architekturplatz, auch im Baustoff: Licht gegen Stein. Eroberung des freien Raumes, der 3. Dimension. Also gehört auch die Lichtreklame zu den vielen Mächten, die die Großstädte und ihre Architektur auflösen, marschiert sie in gleicher Front wie Siedlungsforderungen, wie Fernsprechen, Fernhören und Fernsehen“ (bauhaus, 2. Jg. 1928, Nr. 4, S. 7). Naum Gabo machte in dem-selben Heft seinen „Vorschlag zur Lichtgestaltung des Platzes vor dem Bran-denburger Tor“, Walter Dexel entwarf farbig leuchtende Skulpturen, die Werbung und Hinweise trugen, die Bauhaus-Studenten Heinz Loew und Franz Ehrlich entwarfen farbig bewegte Formen für Lichtwerbung („der Platz, die Straße, das Schaufenster als Werbetheater“). Interessante Beiträge zu diesem Thema stammen aus dem Feld der angewandten Kunst: die Lampen wurden oftmals wie Skulpturen gestaltet. Walter Gropius übernahm für sein Weimarer Bauhaus-Direktionszimmer 1923 die Rietveld-Lampe: von der Decke hängend strahlen rechtwinklig nach vier Seiten geordnete Neonröhren. Oder die von Max Krajewski entworfenen unterschiedlichen Lichtstrukturen an der Decke des Vestibüls und der Aula, sowie die senkrechte Licht-Linie im Nebentreppenhaus des Dessauer Bauhauses 1926. Hierhin gehören die wie Metallskulpturen aus dem Vorkurs aussehenden kinetischen Wandlampen der Marianne Brandt wie auch die Kugellampe als minimale skulpturale Form.

 

Parallel finden wir die ersten „freien“ Licht-Skulpturen: 1924 veröffentlichte Nikolaus Braun in der Zeitschrift „Der Sturm“ seine ersten „lichtkinetischen“ Arbeiten, flache Reliefs mit versteckten Lichtquellen und sich bewegenden Bildteilen. Zusammen mit seinem Lehrer Arthur Segal verfaßt, erscheinen 1925 das Buch „Lichtprobleme der Bildenden Kunst“ und weitere Abbildungen von Reliefs mit künstlichem Licht. Moholy kommentierte diese Arbeiten: „Was für Erlebnisse könnten mit künstlich regulierbarem, vorberechnetem Licht hervor-gerufen werden gegenüber den bisherigen Plastiken, die sozusagen ‚Tagesplastiken’ waren — berechnet auf das von oben herunterflutende Licht“ („Von Material zu Architektur“, S. 171). Keine dieser freien Arbeiten scheint sich erhalten zu haben, nur in schwarz-weißen Reproduktionen sind nun diese Licht-Skulpturen überliefert. Als wesentliche Vorstufe müßte man die kinetische Skulptur von Naum Gabo aus dem Jahr 1920 ansehen, wie das Licht spiegelnd durch ihre Rotation zu einer scheinbaren Licht-Skulptur wird, wie sie dann komplex im »Licht-Raum-Modulator« von Moholy-Nagy 1922-1930 realisiert wird: „Das Licht in diesem Zusammenhang als räumliche Projektion — ein hervorragendes Mittel zur Erzeugung von virtuellem Volumen“ (Moholy, S. 166).

 

In dieser Zeit erlebt die Fotografie einen großen Aufschwung, die Fotogramme, d. h. direkte Lichtmalereien entstehen, zunächst von Christian Schad, dann künstlerisch bedeutend von Man Ray und László Moholy-Nagy. Licht als Gestaltungselement im Film, dem absoluten, damals nur als Animationsfilm vorstellbaren (von Walther Ruttmann, Viking Eggeling, Hans Richter, Oskar Fischinger u. a.), gehört natürlich zumindest als Hinweis mit hierzu wie die Bühnenarbeiten. Hier gab es die Traditionslinie der synästhetischen Klang-Licht-Aufführungen seit Skriabin bis hin zu Alexander Laszlo und den Bauhaus-Studierenden Ludwig Hirschfeld-Mack und Kurt Schwerdtfeger, die mit farbigem Licht und Schablonen scheinbar räumlich bewegbare Lichträume als Projektionen schufen. Auf der realen Theaterbühne bauten Appia und Craig schon um 1900 die Bühne mit einfachen Lichtkuben, Kandinsky mit seiner gegenstandsfreien Umsetzung der „Bilder einer Ausstellung“ im Dessauer Theater 1928, wie experimentell auch Oskar Schlemmer in manchen seiner Bauhaus Tänze und Sketche.

 

Die größten Licht-Skulpturen aus projiziertem Licht entstanden mit großen Flak-Scheinwerfern. Die gab es schon 1911 bei einem Flottenbesuch des Kaisers in Kiel oder als Werbung (z. B. für Persil, Moholy bildet solche Lichtkanonen in seinen Büchern ab!) oder später dann als „Lichtdom“ für die Reichs-parteitage oder als Strahlenbündel für die Begrüßung Mussolinis 1937 in Berlin in der Inszenierung von Albert Speer — parallel zu den vielen Lichtbauten der Pariser Weltausstellung 1937. Dazu muß man die nächtlichen Suchscheinwerfer im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges erwähnen. Immer wieder waren und sind Menschen fasziniert von den sich in der feuchten Luft materialisierenden Lichtbündeln starker Scheinwerfer oder den virtuellen, kurzlebigen Moment-Skulpturen aus Feuerwerks-Licht.

 

Deshalb gehört zu dem Faszinosum der Licht-Skulptur die immaterielle Vergänglichkeit in Zeit und Raum: und so finden wir bei den utopisch arbeitenden Künstlern der 20er Jahre, so dem Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy, Hinweise auf kosmische Lichtereignisse (Sternbilder und Kometen Schweif „Licht ist Grenzgebiet. Es bildet Volumen und Raum“, 1929) und neueste technologische Möglichkeiten wie die Fernseh-Übertragungen und Spiegelteleskope. Sein „Licht-Raum-Modulator“ (meist Original „Lichtrequisit einer elektrischen Bühne“ genannt, 1922 erdacht und 1930 ausgeführt und zugleich als „schwarz-weiß“-Film realilisiert (sic.)) faßt dieses alles zusammen: eine kinetische Licht-Skulptur, die zugleich Licht reflektiert in einen umgebenden Raum.

 

 

 

Literaturauswahl:

 

Moholy-Nagy, László: Malerei, Photographie, Film, München 1925 (Bauhaus Buch Nr. 8), Reprint 1967

Schlemmer, Molnar, Moholy-Nagy: Die Bühne im Bauhaus, München 1925 (Bauhaus-Buch Nr. 4), Reprint 1965

Moholy-Nagy, László: Von Material zu Architektur, München 1929 (Bauhaus Buch Nr. 14), Reprint 1968

Lotz, Wilhelm (Hrsg.): Licht und Beleuchtung, Verlag Hermann Reckendorf, Berlin 1928

Zucker, Paul, und G. Otto Stindt: Lichtspielhäuser und Tonfilmtheater, Verlag Ernst Wasmuth, Berlin 1931

Moholy-Nagy, László: Vision in Motion, Chicago 1947, Theobald, Chicago 1969

Herzogenrath, Wulf (Hrsg. mit Stefan Kraus): bauhaus Utopien —Arbeiten auf Papier, Edition Cantz, Stuttgart 1989

Schievelbusch, Wolfgang: Licht, Schein und Wahn, Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert, Verlag Ernst und Sohn, Berlin und Erco Edition, Lüdenscheid 1992

Flagge Ingeborg (Hrsg.): Architektur Licht Architektur, Karl Krämer Verlag, Stuttgart 1991




In: Mischa Kuball: Bauhaus-Block, ed.: Lutz Schöbe, in order of Bauhaus Dessau Edition Crantz, Stuttgart 1992, p. 106-111.

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