Ulrich Krempel

NO-PLACE


No-Place (Kein Ort). Kein Ort: das Museum, das sich über die Kunst gestellt hat oder nur ein Gehäuse, das hinter der Kunst verschwindet? Mischa Kuball traut dem schönen Schein der Räume und Gehäuse nicht, die wir uns errichtet haben und in denen wir uns aufhalten und planen, in denen wir dekorieren und auftreten und rituelle bedeutungssteigernde Handlungen verrichten. Er analysiert die Dinge, indem er sie in Augenschein nimmt; Er macht Dinge begreifbar, wenn er Ihnen Zusätzliches durch seine Projektionen zufügt. Kuball bringt unsere gewohnte Erfahrung der Räume und Häuser, des

Innen und Außen, des Tragens und Lastens der Architektur ins Schwanken; seine Installationen sind Gegenbilder zum Gewohnten, temporäre Projektionen, flüchtiges Licht und in ihm Bilder auf den Grenzen der Dinge.

 

Gegenbilder. Im Gegenlauf zu unserem Gewohnten funktioniert die Konfrontation von Gebautem und Licht. Statische oder sich bewegende Projektionen mit sich verändernden Bildern oder nur reduzierten geometrischen Elementen, mit Schnitten und Linien: Der Raum, dessen Kuball sich bemächtigt, wird als Raum dadurch erfahrbar, daß in ihm Bilder hergestellt werden — durch das Verfahren der Projektion, bei dem ein Bild, von einer Quelle ausgehend, sich an einem anderen Ort sichtbar abbildet. Die Projektion transportiert von hier nach dort: Sie macht Orte in ihrer Distanz begreifbar, indem es ein Hier und Dort gibt, und sie macht Orte in ihren anderen Dimensionen begreifbar, wenn sich die Projektionsfläche etwa bei genauerem Hinsehen als eine Wand erweist, die ansonsten tragende und begrenzende, rahmende oder dekorative Funktionen innehat. Die Dinge werden in den Projektionen in eine andere Dimension transportiert. Sie werden zu Gegenbildern ihrer selbst: Das funktionale Element der Wand, der Säule, des Bodens oder der Decke wird aufgehoben in der Leichtigkeit, mit der sie dem vorübergehenden Licht-Bild den Ort für das zeitgebundene Verweilen und Gesehenwerden geben.

 

Moderne rundum. Kuballs Sehen ist ein Prozeß des Lebens in einer Welt, die von den Ideen der Moderne für dieses Jahrhundert bestimmt wurden. Welche Erfahrung ist noch möglich nach dem Ende der Moderne, nach dem mutwillig konstatierten Scheitern der utopischen Ideen? Kuball befragt die Dinge auf seine Art. Wenn Kreis, Quadrat oder Rechteck auf die Wand des Bauhauses in Dessau trifft, sind die künstlerischen Konzepte mit der Geschichte der Gegenwart einer Idee und ihrer schrebergärtnerischen Verwirklichung in Relation gebracht. Das Kleine, das Enge wird spürbar wie auch das Fehlende, die noch ausstehende Verwirklichung.

 

Moderne rundum: Was uns umgibt, sind Bau gewordene Varianten großer Ideen. Viele dieser Bauten lösen den Ideenreichtum kaum ein, den die Utopie erreichen konnte; in den Gegenüberstellungen mit geometrischen Grundformen, im Projizieren einfacher Folgen codierter Zeichen auf dem Bildträger des Bauhaus-Gebäudes in Dessau scheint ein Versuch der Einlösbarkeit der Utopien auf, im Gegensatz zu ihrem postmodern konstatierten Scheitern. So begrenzt – zeitlich wie räumlich – Kuballs Installationen sind, so nachhaltig weisen sie auf die Notwendigkeit des Reflektierens und Betrachtens hin. Das Medium Licht, das Verfahren der Projektion sind gleichermaßen zeitgebunden wie flüchtig; ihre Dauer ist begrenzt, und ihre Existenz ist an das Vorhandensein bestimmter Apparaturen und Medien gebunden. Einmal ausgeschaltet, bleibt noch die Erinnerung, unsere Vorstellung von Bildern und von einer Situation, die mittels der Projektion herzustellen war. Das kehrt den Prozeß des Verlustes der Moderne um und spielt mit dem Traum der Erinnerung als notwendiger Dimension des Überlebens der Utopie.

 

Bauhaus Vorkurs. Die elementare Sprache, die in der bildenden Kunst dieses Jahrhunderts spekulativ entwickelt worden ist, gerät im akademischen Leben in die Schachtelsystemcitik. Zur allseits verpflichtenden Lehre geworden, sind die Ideen der Moderne kontraproduktiv lastende Momente; entwicklungshindernd festgeschrieben; absolute, wie unveränderliche Setzungen. Der Traum vom Denken in klaren, einsichtigen, rationalen Kategorien, von der Nutzung einer neuen, unbelasteten, reinen Sprache der Kunst und von der prinzipiellen Einfachheit der Mittel ist in der Standardisierung durch die Herden der Mitläufer erstarrt. Kuball weist darauf hin. Sein Installationsverfahren, das die Zeit benutzt, macht uns das Verfahren des Be-denkens der Dinge begreifbar: Was in der Zeit abläuft, muß in der Zeit beginnen und enden. Die Entwicklung von Gedanken folgt diesem Prozeß da, wo Bilder aufeinandertreffen, Bilder auf Geschichte oder reduzierte Elemente einer modernen Bildsprache auf die Wirklichkeit des Gehäuses. Kuballs Arbeitsweise ist die des allmählichen Fertigens der Gedanken im Prozeß der Installation. Die Allmählichkeit, die Gebundenheit an die zeitliche Dauer gibt seinen Arbeiten einen Aspekt von Theatralik, von Nachvollziehbarkeit, von Benutzbarkeit für einen jeden, der bereit ist, sich auf die Zeit des Kunstwerks einzulassen.

 

Kein Ort (NO-PLACE). Das Museum als ein Ort, in dem Kunst beherbergt wird, der Kunst verfügbar hält oder vorrätig, ist ein Ort für die Kunst. Das Museum als Gebäude, das sich in seiner Kompliziertheit und der Problematik seiner Funktionen der Kunst gegenüberstellt, ist kein Ort für die Kunst mehr. Museum kann Kunst ermöglichen, es kann sie aber auch nachhaltig behindern und so für die Veränderung unserer Sehgewohnheiten mit verantwortlich werden. Kuball weist in seiner Installation, die sich turmartig aus dem Museumsplatz nach oben entwickelt, auf funktionale Aspekte von Museum hin; er nutzt gewöhnliche Orte und Zwischenbereiche, sakrale Präsentationsorte und solche, an deren Existenz wir uns lange über sie hin wegsehend schon gewöhnt haben. Kuball benennt einen Ort, in dem er ihm seine Ortshaftigkeit abspricht — die Installation sitzt im Gebäude und steigt auf wie das das Rückgrat eines amorphen Gebildes. Kein Ort: Das Bewußtwerden von der Wirklichkeit des Gebäudes und des Ortes kann von Kunst angeregt werden. Der Widerspruch zwingt uns, den Ort wiederzuerobern. Hier ist doch ein Ort, sind wir doch hier. Und doch ein Ort, so wenig wirklich wie unsere Anwesenheit hier von Dauer ist: gerade schließt das Museum, schon ist es geöffnet, bald wird es uns wieder zugänglich sein. Wieder aber nur Ort auf Zeit, einer, der sich im Wechsel öffnet und verweigert, wie Tag und Nacht. Uns bleibt der Ort, der keiner ist: uns bewußt geworden durch das zeitweilige Eindringen eines Künstlers in das Gehäuse für die Kunst.

 

Überblendung. Kuball steht mit Gedanken in der Kunst im 20. Jahrhundert, sieht auf die Realität von Bewegung und Stillstand, den Streit der Schulen, auf Siege und Niederlagen, die sich wie  oft ins jeweilige Gegenteil verkehren. Vor dem Ende des 20. Jahrhunderts wird das Resümee zur Pflicht: wohin sind wir gekommen, was haben wir getan, wofür waren wir verantwortlich, wovon haben wir gewußt und wovon nicht; wo stehen wir, wovon sind wir ein Teil, wem gesellen wir uns zu; wohin gehen wir in welchem Gedenken welcher Gedanken?

 





In: Mischa Kuball: NO-PLACE (eine Interventionen) , ed.: Mischa Kuball; Sprengel Museum Hannover , Düsseldorf 1994


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