Peter Steiner


Mischa Kuball: Licht Raum Sprache

 

Ein dunkler Raum mit Licht erfüllt. Ein Saal mit fünf verdunkelten Fenstern, in deren Leibungen Projektoren stehen. Sie werfen gebündeltes Licht auf fünf Spiegelkugeln, die es bewegt zerstreuen. Der Künstler Mischa Kuball arbeitet mit den Elementen von Licht, Raum und Sprache.

Die drei Begriffe können im Deutschen zu Wortpaaren verbunden werden: Sprachraum, der Raum in dem z. B. die deutsche Sprache verstanden und gesprochen wird, nicht identisch mit irgendeinem Staat.

Lichtraum, der lichte Raum, zwischen seinen Begrenzungen, das was zur Bewegung unter halb von Ästen einer Allee oder unter den Lampen eines Festsaals zur Verfügung steht, der Bewegungsraum, aber auch der durch einen Lichteinfall hervorgehobene Teil eines Raums, z. B. ein Lichterker, eine Lichtkuppel.

Raumlicht, die Öffnungen, Türen, Fenster, Opaion, bestimmen das Licht innerhalb gebauter Räume. Leuchtkörper wie Fackeln, Kerzen, Kronleuchter oder Deckenfluter unterstützen es. Das Raumlicht konstituiert den bedrückenden Charakter eines Kerkers, den gemütlichen eines Zimmers, den festlichen eines Ballsaales oder den sakralen Charakter einer Kirche oder Moschee.

Lichtsprache ist als Wort zwar nicht üblich, aber seit der Mensch den Umgang mit Feuer beherrscht, als Lichtsignal, Leuchtfeuer, kodiertes Lichtzeichen gebräuchlich. Da Licht weiter trägt als Schall, haben es Menschen seit Urzeiten als Mittel der Verständigung, zur Warnung oder um Hilfe zu rufen verwendet. Heute ist jede Verkehrsampel Gerät einer rechtlich festgelegten Lichtsprache.

Vor mehr als 1900 Jahren hat der Evangelist Johannes Sprache und Licht auf eine erstaunliche Weise verbunden: „Im Anfang war das Wort ...  und Gott war das Wort ... In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen (Joh. 1,1-4). Goethe ließ seinen Dr. Faust zögern, wie er das griechische Wort  Logos übersetzen solle:

„Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muß es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Daß deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

Doch auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich etwas, daß ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat

Und schreib getrost: Im Anfang war die Tat!

 

Die Unruhe des Pudels, in dem sich Mephistopheles versteckt hat, unterbricht das Ringen um das rechte Wort für das Wort. Von der Verbindung Wort – Gott – Leben – Licht im Prolog des Evangeliums leuchtet uns heute noch am ehesten die von Leben und Licht ein, da wir wissen, dass Licht Voraussetzung für Leben ist. Aber schon in dem Ausdruck‚ es leuchtet uns ein haben wir einen Zusammenhang zwischen Licht, Einsicht und Erkenntnis und damit auch mit ihrer sprachlichen Mitteilung eben dem ‚Wort konzediert, auch wenn wir ‚Gott vorläufig noch ausklammern.

Mischa Kuball arbeitet mit Diskokugeln und Diaprojektoren, andernorts auch mit Scheinwerfern, Hochhäusern, Straßenräumen. Seine Arbeit mit Raum, Licht und Sprache ist ganz anschaulich, konkret und benützt einfache technische Hilfsmittel: Kugeln, die mit Spiegelplättchen belegt sind, werden seit Jahrzehnten in Zirkus, Varietétheater und Diskothek benützt. Sie sind die technische Variante der Kristalllüster bei denen geschliffene Bergkristalle, beweglich aufgehängt, das flackernde Licht von Kerzen zerstreuen und widerspiegeln. Diskokugeln erzeugen im Licht von Scheinwerfern vielfältige Reflexe, die über Böden, Decken, Wände, alle Gegenstände und Personen in einem Raum wandern. Die Reflexpunkte blenden, irritieren, bewirken ein Flimmern, das den eigenen Standpunkt verunsichert. Bei schneller Bewegung kann das zum Verlust des Gleichgewichts und zur Übelkeit führen. Licht, das nicht aufklärt, sondern verunklärt, euphorisiert, trunken macht. Die Verunklärung, Verunsicherung des Betrachters nimmt Mischa Kuball in Kauf, aber nicht, um zu unterhalten, zu betäuben, sondern um aufzuklären über ganz einfache elementare Dinge, z. B. über den Raum: Der Lichtpunkt, der eben noch auf meinem Ärmel war, ist jetzt weit hinter mir an der Wand, zieht an ihr schräg nach oben, über alle Vor- und Rücksprünge gleitend, zur Decke, wo ich ihn verliere, weil inzwischen schon wieder andere Lichtpunkte auf meinem Ärmel, meinem Hemd, meinen Schuhen angekommen sind, sich im Haar meiner Begleiterin verlieren, wieder auftauchen, ganz weit oben, unten oder vorne. Der Raum selbst ist zunächst ganz unsichtbar, aber die Bahnen der wandern den Lichter zeichnen ihn mit allem, was sich in ihm befindet und bewegt, immer deutlicher. Wir erleben den Raum auf eine ganz neue, intensive Weise, weil wir ihn nicht überblicken, sondern er uns durch die wandernden Lichtpunkte langsam erschlossen wird. Zugleich, vielleicht sogar zuerst, drängt sich der Eindruck von Nacht, Sternen, Himmel und Kosmos auf, lädt ein zum Staunen, griechisch  thaumazein, dem Ursprung der Philosophie.

In den Diaprojektoren stecken spiegelverkehrt geschriebene Worte: C H A O S B A – L A N C E K A T H A R S I S S Y N E N E R G I E und andere. Die Worte sind wie das Licht durch die Spiegel gespalten, die Buchstaben verstreut. In der Spiegelung werden sie verkehrt und damit lesbar, wenn nicht der Untergrund, auf den das wandernde Licht fällt, sie zur Unkenntlichkeit deformiert. Wer sich Zeit nimmt, Geduld hat, kann Worte bilden, kommt vom Chaos zur Balance, aber er kann auch A N A B A S I S (griechisch: Aufstieg) lesen oder K A T H A R I N A (griechisch: die Reine), sogar K A TA R R H (griechisch: das Herabfließen) ist möglich. Unübersehbar viele Lesarten sind ohne Konflikt möglich. Denn die Lichtbuchstaben gleiten ohne Kollision nebeneinander und übereinander hinweg. Die wandernden Buchstaben laden zu einem spielerischen Lesen in freier, sich nie wiederholender Kombination ein. Sie weisen auf eine Erkenntnis, die alles umfassen kann und sich immer wieder entzieht. Sprache kann der Verwirrung dienen und der Verständigung. Sie ist selbst weder gut noch böse, nur ihr Gebrauch kann es werden. Sie kann Mit-teilung von Banalem oder Substanziellem sein und An-deutung von Geheimnis.

Wenn wir aus der Wortverbindung des Johannesprologs Wort – Gott – Leben – Licht Gott nicht länger ausklammern, kommen wir zu jenem Text, welcher dem Denken Meister Eckharts und der europäischen Kultur zugrunde liegt, der <Heiligen Schrift>. Sie wurde, wie alle unsere Texte, im Gegensatz zur ägyptischen oder chinesischen Weisheit, mit 24 Buchstaben geschrieben, hebräischen und griechischen, aus denen alle Wörter zusammengesetzt sind. In der Heiligen Schrift erscheint das Licht als erste Schöpfung Gottes (Genesis 1,3), als Gewand Gottes (Psalm 1042) als Wohngefährte Gottes (Daniel 2,22), als Gott selbst (Isaias 60,19) oder als Licht des Lammes in der kristallhellen Stadt aus Gold (Apokalypse 21/22). Darum wurden Gotteshäuser in einer Weise gebaut, die dem Licht besondere Bedeutung gibt, die es, biblisch gesprochen, geeignet macht, die Wohnung Gottes unter den Menschen darzustellen. Dies tut eine Kuppelmoschee in Edirne auf andere Weise als eine byzantinische Kirche in Hosios Loukas oder die Kathedrale von Chartres, die Sairite Chapelle in Paris oder die Klosterkirche von Weltenburg. Allen gemeinsam ist ein nicht alltägliches Raumlicht, das dazu verleitet, die Augen zu heben, den Blick kreisen zu lassen, zu suchen und zu finden, ein Licht, das zur Verwunderung Anlass gibt und zur Bewunderung wie der Sternenhimmel und der Sonnenlauf.

Mystische Texte der ganzen Welt vergleichen die Begegnung mit dem Göttlichen immer wieder mit dem Erleben von Licht; sie finden kein treffenderes Bild für Gott als Licht, als strahlendes, brennendes, fließendes, unsichtbares Licht. Ein wesentlicher Impuls der diaphanen Architektur der Gotik war die Lichtmystik des Abtes Suger von St. Denis (1080—1151), die auf den neuplatonischen Texten des Dionysius Areopagita (geschrieben um 500) fußt. Aber auch Gertrud von Helfta, Theresia von Avila, Eckhart und Tauler brauchen das Licht als Metapher für Gott. Maler wie Grünewald, Jawlensky und Franz Marc, Bildhauer wie G. L. Bernini und Hans Arp und Architekten wie F. Borromini und Le Corbusier haben die transzendentale Lichterfahrung der Mystik thematisiert. In der zeitgenössischen Kunst wird Licht bei James Turrell, Anish Kapoor, Bill Viola, Mark Wallinger, Mischa Kuball und anderen zu einem Medium der Kunst, der Erfahrung von Transzendenz der Katharsis. In der Arbeit mit Licht begegnen sich seit alters und heute wieder Mystik und Kunst.

Die Lichtarbeiten von Mischa Kuball können als wortreich schweigende Lichtsprache gesehen werden. Ihr Schweigen wird unterstrichen vom leisen Surren der Ventilatoren in den Projektoren die auch die Lichtkugeln in Bewegung hauchen. Sie können aber auch gelesen werden als vielfältige Mitteilung und Andeutung, dann wird der durchleuchtete Raum zum Sprachraum. Und so entsteht an den Grenzen unserer Erfahrung ein neuer Licht-Sprach-Raum, ganz hell im Dunkel.

 

In: Unaussprechlich Schön: Das mystische Paradoxon in der Kunst des 20. Jahrhunderts; Ausstellungs-Katalog  Kunsthalle Erfurt; Hg. Kai Uwe Schierz; Silke Opitz, Salon Verlag Köln 2003, S. 266-275.

 

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