Technik, Licht, Objektbetrachtung


Britta E. Buhlmann


Licht ist für uns moderne Menschen zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir verfügen über das Licht, regulieren es nach unseren Bedürfnissen und nehmen es dennoch kaum aktiv wahr. Das wird anders, wenn wir seine Bedeutung reflektieren: In Philosophie und Religion wird Licht mit Erkenntnis gleichgesetzt. Erinnert sei u. a. an die Verehrung des Lichtgottes Atom im ägyptischen Tempel Tel-el Amarna oder an die Metaphysik des Lichtes bei Parmenides, der im Licht die Wahrheit erkannte. In unserem Kulturkreis denken wir an die mittelalterliche Lichtmystik. Licht-Räume wurden geschaffen, die die Verklärung der göttlichen Erscheinung faßbar machen sollten. Das Strahlen, Glanz und Glorie wiesen auf Heilige hin. Diese Bilder haben sich bis heute in unserer Sprache manifestiert. Wir unterscheiden die Licht- und Schattenseiten des Lebens, sprechen von hellen Köpfchen und dunklen Gestalten usw. Im Bereich der Malerei diente und dient das Licht u. a. als Ausdrucksträger von Emotionen. Für die Impressionisten wurde es zum Thema der Darstellung. In den 10er und 20er Jahren unseres Jahrhunderts experimentierten dann Künstler wie Marcel Duchamp, Man Ray, Naum Gabo, Moholy Nagy und Thomas Wilfried aktiv mit Lichtwellen. Sie wurden als bildnerisches Element benutzt. D. h., man vollzog den Schritt vom Abbild, von der optischen Illusion hin zur wirklichen Anwendung des Lichtes.

An diesem Punkt läßt sich das Werk Mischa Kuballs im Netz künstlerischer Traditionen verknüpfen: Kuball benutzt in jeder der Arbeiten, die hier vorgestellt werden, durch Projektoren geformtes Licht, das er kombiniert mit unterschiedlichen Objekten. Durch ihre Plastizität verändern diese das auf sie gerichtete Licht und werden selbst durch die Projektion optisch manipuliert. Kuball untersucht wechselweise Wirkungen und Bedingungen dieser Konstruktionen und läßt voneinander abweichende Betrachtungsakzente ins Bewußtsein des Rezipienten treten.

1. Das Tor
Die Arbeit besteht aus drei Werkteilen. Zwei Projektoren mit Ringmagazinen (programmierter Durchlaufrhythmus), stehen zur Linken und zur Rechten eines Tores, das aus Glas- und Holzflächen montiert ist, und zwar so, daß im Wechsel jeder Holzfläche eine Glasfläche gegenüberliegt. Die Projektoren senden Lichtstrahlen und –schnitte aus, die das Tor umspielen, sich auf seinen Flächen brechen und es räumlich definieren. Der Betrachter kann diese wechselnden Positionen als Außenstehender verfolgen, sich aber auch dem Werk integrieren. Er kann mitwirken, das Tor um- und durchschreiten und dabei selbst zur Projektionsfläche werden. Er stellt sich quasi als ‚Variante' dem Aspekt des Kunstwerkes zur Verfügung, der ausgerichtet ist auf Beobachtung des Lichtes, seiner Brechung, seiner mit dem Brechungswinkel und der Entfernung zur Projektionsfläche differierenden Intensität. Jedes neue Lichtbild schafft eine neue Situation, stellt Tor und Raum in neue Bedingungen. Die Lichtstrahlen erinnern an ein nie realisiertes Projekt von LászIó Moholy-Nagy, der zeitweise davon sprach, Wandgemälde aus Wohnräumen zu verbannen und statt dessen farbige Lichtschleier einzusetzen. Dies sei zeitgemäßer, den modernen Technologien, die immer selbstverständlicher auf treten, entsprechender. Beide Künstler gehen von unterschiedlichen theoretischen Ansätzen aus, und doch zielen beide darauf hin, die Rezipienten zu einer wachen und regen Auseinandersetzung mit dem nahezu unmerklichen Wandel des Lebensumfeldes und den daraus erwachsenden Einflüssen und Bedingungen zu provozieren. Kuballs Tor hat einen weiteren Aspekt in den Motiven der jeweiligen Projektionen. Es handelt sich um Schnitte und Risse, die die „Handschrift" dessen, der sie anfertigt, im Dunkeln lassen. Ein „anonymes" Werk, anscheinend motiviert von der reinen Theorie. Und dennoch kommt gerade in der Struktur des gerissenen Papiers ein eigenwilliges, lebendiges Moment zum Ausdruck. Der Faktor Zufall, der Offenheit impliziert und daran erinnert, daß die endgültige Ausführung einer Arbeit ohnehin nie vollständig mit dem zuvor von ihr entwickelten geistigen Bild übereinstimmt.

2. Doppelprojektion auf Skulptur
Aus jeweils fünf schwarzen Holzstäben werden zwei Materialbilder konstruiert, die nicht nur in ihren Bestandteilen vergleichbar sind, sondern einander auch in der Anordnung stark ähneln. Zwischen parallel horizontalen Elementen werden diagonal ausgerichtete Stäbe ebenfalls parallel angeordnet und jeweils von einem im Mittelteil verstärkten Element überlagert. Ein reliefartiges Materialbild ist exakt parallel organisiert, das zweite nur annähernd, denn würden die durch die einzelnen ‚Bauteile' angelegten Geraden weitläufig verlängert, stünden an ihren Schnittpunkten spitze Winkel. Das Suchen, Unterscheiden, Trennen zwischen Übereinstimmungen und Differenzen der beiden Reliefs scheint die erste, natürliche Reaktion des Auges auf die beiden Wandarbeiten Kuballs. Dieses Beziehungsfeld ist jedoch zweitrangig, denn die Materialbilder werden rhythmisch verändert, durch auf sie gerichtetes mittels Projektoren gestaltetes Licht.

Die Lichtbilder werden erzeugt durch Riß- und Schnittkanten von Papier. Sie bilden eine eigene Erfahrungsebene, könnten auch als autonomes Werk gesehen werden, Kuball aber schafft Verbindungen. Teilweise greifen die Strukturen der auf sie gerichteten Lichtgrafiken die Geraden der Reliefs auf, teilweise ergänzen sie sie oder erweitern den „Rahmen" des Reliefs, indem das Licht-Bild weiter ausgreift. Die Materialbilder werden durch die synchron gestalteten Projektionen auf unterschiedliche Weise manipuliert. Das Licht bildet einen Gegenpol zum greifbaren schwarzen Relief. Obgleich immateriell, zeigt sich sofort, daß die Lichtgrafik, die das Auge simultan erfaßt, keineswegs weniger wiegt als das Relief. Die Grafik deutet die Plastik in der ihr eigenen Sprache aus. Sie gibt ihr Akzente, lässt einzelne Teile hinter der Struktur des gerissenen Papiers hervor- oder zurücktreten; öffnet die Plastik oder faßt sie enger ein, gibt ihr weitere Elemente und zeigt die offensichtliche Divergenz zweier einander stark ähnelnder Objekte unter abweichenden Bedingungen. Innerhalb kürzester Zeit werden hier zahlreiche Bilder produziert und aufgenommen. Im Zusammenklang weisen die unterschiedlichen Medien über sich selbst hinaus, erhellen sich gegenseitig und bilden eine Symbiose, die dazu angetan ist, im Betrachter ein Bewusstsein für die Bedingtheit und Wirkung simultaner Information zu wecken. Kuball setzt das Licht in seiner ästhetischen und der naturwissenschaftlichen Wirkweise ein und spricht, wie z. B. auch die Schöpfer der kinetischen Kunst, von denen nur Martha Boto, Inge Claus-Jansen, Hermann Goepfert, Martha Hoepffner, Adolf Luther oder Heinz Mack erwähnt seien, sowohl das emotionale wie auch das explorative Verhalten der Betrachter an. Nicht Philosophie oder Interpretation stehen im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Bewegung und Wirkung der eingesetzten Mittel. Die bildende Kraft des Lichtes in der mittelalterlichen Glasmalerei erkannt, von Moholy-Nagy als ‚conditio sine qua non' des technischen Zeitalters empfunden, dient Kuball als Mittel, alltägliche Manipulation zu hinterfragen.

3. Mediendrama
Anders als bei den zuvor besprochenen Werken werden wechselnde Einstellungen beim „Mediendrama" nicht allein über Projektionen ins Bild gebracht, sondern über Elektroden auf die Mattscheibe eines TV-Gerätes transportiert. Beliebig laufen Sendungen des Fernsehprogrammes ab. Zusätzlich bildet die Mattscheibe die Reflexionsebene für grafische Raster, die in regelmäßigen Abständen wechselnd von einem Diakarussell projiziert werden. D. h. zwei unterschiedliche Medien senden gleichzeitig verschiedene Nachrichten, Folgen elementarer Zeichen aus, vermitteln zwischen Sender und Empfänger. Die Information, die der Betrachter einer ausgesandten Nachricht entnehmen kann, ist bedingt durch das gemeinsame Repertoire von Sender und Empfänger. Dieses Kriterium entscheidet bei gleichzeitigen unterschiedlichen Informationen über die Wahl der Aufmerksamkeitsebene. Der Empfänger empfindet Vergnügen, wenn er bekannte Formen wahrnimmt, die Auseinandersetzung mit originellen, d. h. fremden Zeichen hingegen bedeutet Mühe, da diese erst intellektuell verarbeitet werden müssen. Hinzu kommt, daß das menschliche Gehirn für neue Informationen (Originalität) pro Zeiteinheit nur eine beschränkte Auffassungskapazität hat, also von zu rasch einander folgenden, neuen Nachrichten schlicht überfordert ist.
Meine erste Begegnung mit Mediendrama war dazu bestimmt, diese Ausführungen zu bestätigen: Eine King-Kong ähnliche Sendung zog mich so deutlich in ihren Bann, daß ich die grafischen Licht-Strukturen – obwohl sie in einem verhältnismäßig ruhigen Rhythmus eingespielt wurden – kaum beachtete. Eine befremdliche Erfahrung für die, die auszog, um sich mit „spröder" Kunst und ihren intellektuellen Anregungen auseinanderzusetzen. Als Fazit auch hier wieder die Beobachtung, die Recherche; wo divergierende Parallelinformationen auf den Betrachter einstürmen, scheint dieser zunächst auf Bekanntes, gegebenenfalls auch Banales auszuweichen anstatt die Information/ Nachricht auf ihren Originalitätsgehalt zu prüfen und die eigenen Wahrnehmungsprozesse zu reflektieren. Das Medien-DRAMA rückt uns ein Stück näher.

4. Dia Cut Dia
Gut, eine 1984—86 von Kuball entwickelte Projektionsarbeit, ist eine Licht-Raum Installation mit drei Projektoren und dazu komponierter Musik, die über ein Datenverarbeitngsprogramm gesteuert werden. Die Arbeit bezieht die Raumelemente, Wand, Decke und Boden ein und berücksichtigt im Projektionsrhythmus bewußt die Akkumulation, d. h. Anpassungsfähigkeit des Auges, um eine positive Wahrnehmungsqualität zu erhalten, nicht im Sinne von Reizüberflutung auf den Rezipienten einzustürzen.
Die bei Wiking Eggeling (Diagonalsymphonie, Film 1921) und im Bauhaus von Kandinsky und Moholy Nagy untersuchte und eingesetzte bildnerische Bedeutung von Primär-Elementen und deren scheinbar spielerische Verbindung mit Klangformen, u. a. im Film, wird on Kuball in den dreidimensionalen Raum versetzt und so noch eindeutiger physisch psychisch erlebbar.
Die Synthese aus – allerdings farbigem – Licht und Klang reizt Künstler und Forscher nachweisbar seit 1734, als der Jesuitenpater Bertrand Castel das clavecin oculaire entwickelte; 1895 gab es in London eine von Turners Malerei inspirierte Farb-Licht-Musik (A.W. Remington) und 1919 in Moskau ein Optophonisches Konzert, das der Maler Baronoff- Rossin mittels einer Apparatur aufführte, die synchron zur Musik Farbrhythmen projizierte (vergl. Oto Bihalji-Merin, Zauber des Lichtes, Katalog der Städtischen Kunsthalle Recklinghausen, 1967 o. S.). Dies, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Kuball basiert also auf einer Tradition, die er folgerichtig weitererforscht mit den ihm heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln. Synchrone Erfassung von untereinander abweichenden Informationen, Wirkung der Licht-Installationen anhand unterschiedlicher Bedingungen und der Einsatz von Technik zur Fremdsteuerung gezielter Effekte zeigen, wie nah künstlerische Motivation und wissenschaftliche Methode ineinandergreifen. Bei allen genannten Arbeiten ist es Licht bzw. Lichtgrafik, die Kuball als Basis für Werk und Fragestellung dient. Damit schließt sich der Kreis, denn setzen wir auch Licht nicht mit Wahrheit oder Erkenntnis gleich, bleibt seine Bedeutung als Mittel für Kreativität und Forschung doch offensichtlich.

In: Projektion - Installation, Neuer Berliner Kunstverein, Berlin 1988