Cornelia Wieg



"Public Stage" - die öffentliche offene Bühne vor der Moritzburg. Ein Erfahrungsbericht.
the open-air public stage before the Moritzburg. A report

Die Staatliche Galerie Moritzburg Halle ist ein Museum, das eine spätmittelalterliche Burg bewohnt. Eine Burg, die unschwer als fortifikatorische Anlage gegenüber der Stadt, an deren ehemaligem Rand sie liegt, zu erkennen ist. Verborgen in dem vierflügeligen Bau, seit dem dreißigjährigen Krieg Ruine, bewacht an den vier Ecken von immer noch trotzigen Wehr- und Wohntürmen, führt hinein nur der Weg über die Brücke durch den Torturm. Im Hof ange-kommen, täuscht das ehemalige große Eingangportal heute die Besucher - es ist verschlossen, der Museumseingang, vielmehr die verschiedenen Eingänge liegen beiseite, unscheinbar und verborgen. Anders als in modernen Museumsbauten, die Transparenz und Offenheit schon in ihrer Baugestalt signalisieren, wird der Museumsbesucher in der Moritzburg in die Rolle eines Pfadfinders gedrängt, der die Zeichen, die in leiten können, erst lesen muss.

Das vormals Städtische Moritzburg-Museum für Kunst und Kunsthandwerk, 1885 durch die Initiative einer kleinen Gruppe kunstinteressierter Bürger mit einer disparaten Sammlung aus dem Boden gestampft, wurde zu Beginn unseres Jahrhunderts in der Moritzburg einquartiert, deren ruinöse Gebäude für eine Nutzung repariert und in verschiedenen Bereichen durch historistische Gebäudeteile ergänzt wurden. Der erste ordentliche Museumsdirektor, der junge und engagierte Kunsthistoriker Max Sauerlandt, sah sich veranlasst, schon bald eine Alternative in einem Neubau zu suchen, weil er historische und zeitgenössische Kunst den Besuchern als sinnliches Erlebnis nahebringen wollte. Doch es kam bis heute weder ein Museumsneubau noch ein Ausbau der Moritzburg zustande, der diesen Intentionen optimal Rechnung tragen könnte. Sauerlandt definierte das Museum als “moralische Anstalt“, die das Publikum an den “Zeitgeist“ im Sinne einer moralischen Bildung über die ästhetische Erfahrung heranführen sollte. Er fand aus dieser Position zu fortschrittlichen Konzepten für Sammlung, Präsentation und Vermittlung von Kunst, die er an zeitgenössischen Tendenzen und Bedürfnissen ausrichtete . Er holte den im Vorfeld des ersten Weltkrieges gerade entstandenen Brücke – Expressionismus als die Kunst in das Museum, in der er die Zeit und ihre Umbrüche mit einem radikalen ästhetischen Neuansatz gespiegelt sah.

Sauerlandts Einsatz, der von anderen jungen Museumsleitern und Kunsthistorikern unterstützt wurde, trug damals wesentlich dazu bei, dass eine von der breiten Kunstöffentlichkeit noch nicht akzeptierte Ausdrucksform Eingang in das Museum fand und damit ein kritisches ästhetisches Bewusstsein, das die Brüche seiner Zeit spiegelte. Das Moritzburg-Museum war mit seiner Sammlung moderner Kunst in ganz Deutschland bekannt.

Kunst als Reflex auf die Gegenwart und als Formulierung von Utopien, die für die gesamte Gesellschaft über den Kunstkontext wirksam werden wollen: auch, wenn sich die Utopien als nicht einlösbar erweisen, schaffen sie ästhetische Zeichen, die gerade in der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit eine anschauliche und reflexive Potenz entfalten.

Welche Funktionen in der Vermittlung zwischen Kunst und Leben das Museum übernehmen kann, wie es das utopische Potential als ästhetische Erfahrung vermittelt, ist längst zu einem Forschungsfeld geworden, auf dem sich Künstler und Museumsleute als die gleichzeitig unmittelbar Betroffenen bewegen und als diejenigen, die in auf diesem Feld agieren und manipulieren. Künstlerische Strategien setzen sich mit den musealen Verfahren auseinander, künstlerische Projekte reflektieren und definieren das Museum als den Ort, an dem sich Kunst immer wieder selbst begegnet und zugleich ihr spezifisches Potential zum weiteren Gebrauch in der Gesellschaft anbietet.

An Mischa Kuball, dessen Thema Hans Ulrich Reck als Beschäftigung “mit der Analyse der Zirkulation öffentlich wirksamer Zeichen“, als die Erzeugung und Sichtbarmachung visueller Phänomene in unterschiedlich dimensionierten öffentlichen Räumen auf bestimmte Zeit charakterisiert, (1) traten wir mit dem Anliegen heran, eine Position unseres Museums zu markieren, die in den öffentlichen Raum ausstrahlt und die seine ästhetischen Potentiale gegenüber der Stadt sichtbar macht. Der Anfrage lag die spezielle Situation zugrunde, in der sich das Museum nach wie vor sieht: sich in der historischen Architektur mit modernen Kunstformen zu verorten und künstlerische Strategien auf die Möglichkeit hin zu befragen, Modelle für die Kommunikation zwischen Museum, Stadt, Region und darüber hinaus zu entwickeln.

Kuballs bisherige Arbeiten zeichnen sich aus durch die Sichtbarmachung und Auseinandersetzung mit verborgenen Erinnerungspotentialen und dem öffentlichen Bewusstsein verborgenen, entzogenen oder von ihm auch nur unbeachteten Räumen.

Er rekonstruiert diese Potentiale als ästhetische Formulierung in der Regel durch Bild, Zeichen und/oder Sprache, die eingeübte Wahrnehmungsprozesse irritierend reflektieren. Häufig benutzt er dazu Projektionen und Licht, mit denen die gesichert scheinende Konstitution von Bildern und Orten verzerrt und in Bewegung versetzt wird. Eine Qualität des Potentiellen und Transitorischen wird eingeführt. Durch die Verwendung immaterieller Medien bleibt der bezeichnete Ort in seinem materiellen Bestand weitgehend unangetastet und wird doch anders konstituiert. Auch Sprache, vor allem als Bezeichnung und Titel, wird als reflektierendes und kommunizierendes Medium eingesetzt.

Für das Museum in der Moritzburg entwickelte Kuball die Idee der “public stage“, bestehend aus einer Licht- und Bühneninstallation vor den Toren der Moritzburg und einer Website, die die Intentionen des Projektes und seinen Verlauf in Text, Bild und Video veröffentlichte. Die “public stage“ stand als offene Bühne allen für Aktionen zur Verfügung. Sie konnten, aber sie mussten nicht im Museum angemeldet werden. Über angemeldete Aktionen informierte auch die Tageszeitung.

Kuball markierte die “public stage“ durch das Licht von fünf Kilowattscheinwerfern, die an der Quertraverse einer Torkonstruktion am Eingang in die Burg angebracht waren und damit sowohl die “public stage“ bestrahlten als auch den Eingang in das Museum markierten. Die Tor-konstruktion wurde soweit als möglich nach vorn auf die Burgbrücke, an die Grenze von Museumsgebiet und städtischem Raum verlagert, ohne die Ausrichtung an der Architektur des Museums aufzugeben. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, axial auf das Lichttor und die Burgbrücke orientiert, stand die “public stage“, eine 500 x 400 x 50 cm große Bühne, an der Vorderseite von einer Banderole mit der Internetadresse des Projektes bezeichnet. Diese Anordnung vollzog einen Schritt aus dem Museum hinaus in den Stadtraum, wobei die Rückbindung an das Museum bestehen blieb. Für die Aufbauten wurden die für Aufführungs-zwecke üblichen Teile verwendet, die sich nicht durch eine besondere ästhetische Qualität auszeichneten. Sie waren auch nicht simuliert: das Provisorium einer open-air-Bühne wahrte einen ambivalenten Charakter zwischen Funktion und Zeichen und erlangte so eine fiktionale Qualität.

Durch die Überquerung der Straße entstand in einem vor allem von Durchgangsverkehr beherrschten Stadtraum eine handlungsbetonte Achse zwischen Museum und Stadt, ein kulturell determinierter Aktionsort. Angesichts des Verkehrs, dessen Umleitung von den zuständigen Behörden nicht genehmigt, wohl aber mit einer Menge von Schildern für Geschwindigkeits-begrenzung auf 10 kmh und für Fußgängerverkehr mit dem Zusatz “Achtung! Kultur-veranstaltung“ nach beiden Richtungen verlangsamt werden sollte, wirkte die Konstellation der “public stage“ einigermaßen fragil, wenn nicht gar paradox. Sie brachte eine Irritation in die festgelegten Räume, die sich üblicherweise in den des Museums hinter den Burgmauern hier und den für den “eingefahrenen“ städtischen Verkehrsraum da trennen. Die Installation der “public stage“ wurde damit tatsächlich zu der “anarchischen Geste“, als die sie Kuball konzipiert hatte. Diese Bühne stand als “public stage“ jeder Aktion offen, die von den Akteuren selbst inszeniert und verantwortet wurde. Sie vermied den kunstprofessionellen Charakter einer “Kunstbühne“, wie sie z.B. in der Ausstellung “open box“ 1991 vom Karl-Ernst-Osthaus-Museum Hagen für zwei Monate betrieben wurde. (2) Dort agierten eingeladene Künstler ohne Vorgaben auf einer Bühne im Museum. Es kam zu Aktionen und Gestaltungen des Bühnen - Raum - Volumens. Durch die Ansiedlung der Bühne im Museum und durch die Festlegung auf Künstler als Akteure rückte die Frage, wie Kunst zustande kommt und wie sie als Kunst wahrgenommen wird, in den Vordergrund. “Public stage“ blieb zwar durch die Trägerschaft des Museums und durch die räumliche Nähe innerhalb eines kulturell definierten Zusammenhangs, aber es gab während der Laufzeit keine aktive Präsenz des Künstlers als Autor des Projektes.

Ein anderes Projekt mit vergleichbaren Parametern lief fast gleichzeitig in Leipzig im Rahmen der Ausstellung “Neues Leben“ der Galerie für Zeitgenössische Kunst. Adam Page und Eva Hertzsch ließen über einem unbeachteten und etwas versteckten innerstädtischen kleinen Platz einen Ballon in Form einer Videokamera schweben. An diesem Ballon hing tatsächlich eine Videokamera, deren durch die Bewegung des Ballons unstete Bilder in die Galerie auf einen Monitor übertragen wurden. Die Begleitpublikation bot das “Event Managment System“ der beiden Künstler als Unterstützung bei der Ausrichtung persönlich veranstalteter Events an. Mit einer heiter-ironischen Geste wiesen die Künstler auf die Observierungspraktiken von städtischen Räumen hin, die hier allerdings in einen ganz anderen als den Sicherheitskanal eingespeist wurden – der unscheinbare Platz mit seinem banalen alltäglichen Leben geriet in die Aufmerksamkeit eines Galeriepublikums.

“Public stage“ bot die Bühne als Auftrittsmöglichkeit für jedermann, die Ankündigung der angemeldeten Aktionen in der örtlichen Tageszeitung und auf der Website des Projektes, ihre Videoaufzeichnung und Dokumentation und ihre Veröffentlichung per Text, Photo und Video an. Die “Kunstbühne“ stellte die Frage nach den Parametern von Kunst: Kunst als das, was vom Künstler kreiert, vom Künstler/Kurator inszeniert und vom Künstler/Kurator/Publikum als Kunst diskutiert wird. Adam Page und Eva Hertzsch zeichneten einen vergessenen Platz als öffentlichen aus und rückten ein Stück unbeachtetes alltägliches städtisches Leben in das Gesichtsfeld des Kunstpublikums der Galerie. Mischa Kuball gab mit “public stage“ persönlichem verantwortetem Handeln ein Podium, das an einer Schnittstelle von Museum und städtischem Raum angesiedelt war. Im Kontext von “public stage“ als einem künstlerischen Projekt war jedes Handeln als ein kulturelles und ästhetisch wirksames von vornherein definiert, ohne in seiner Mitteilung festgelegt zu sein. Nach der Konzeptionierung des Projektes zog sich der Autor zurück und stellte es einem völlig offenen Verlauf zur Verfügung.

Angesichts der zunehmend unverschleierten Manipulierung und Kommerzialisierung von Öffentlichkeit verstand Mischa Kuball das Projekt als eine Geste, die eine ideale Möglichkeit beschwor: Entgegen den gängigen Fernsehshows, bei denen die Manipulationen im Ablauf verschleiert werden, enthielt sich “public stage“ weitgehend jeden Eingriffs. Innerhalb der Bedingungen, dass die Aktionen selbst inszeniert und selbst verantwortet sein mussten und nicht ungesetzlich sein durften, stand die Bühne tatsächlich allen offen.

Und auch entgegen dem Gebrauch der Inzwischen gestiegenen Anzahl von Webcams, die gegen eine nicht zu hohe Gebühr auf der jeweiligen Hompage den Blick in die Privatspäre (sic) ihrer Betreiber, ihr normales Alltagsleben bis selbst in die intimsten und banalsten Bereiche erlauben, den Besucher der entsprechenden Homepage in den Stand eines Voyeurs versetzen und die Veröffentlichung des “Privaten“ in den Kultstatus erheben, der je “kultiger“ desto besser vermarktungsfähig ist, machte “public stage“ immerhin klar, dass mit dem Schritt auf die Bühne die Inszenierung beginnt, die dann auch über die im Museum installierte Webcam auf der Homepage des Projektes zu verfolgen war. Der “Schlüssellocheffekt“ des Webcam-Beobachters allerdings war ausgeschaltet, da die “public stage“ selbst schon in der Öffentlichkeit stand. Ihre Kommerzialisierung wurde nicht zugelassen.

Die Nutzung und das Interesse für das Angebot, das “public stage“ machte, bewegte sich im Rahmen einer Straßen- oder Stadtteilfestkultur. Die “public stage“ wurde vorwiegend von jungen Musikgruppen und Kinder- und Jugendprojektgruppen für eine Präsentation genutzt. Die Wahrnehmung des Projektes blieb auf ein relativ festgelegtes Publikum beschränkt. Es kam nicht zu kritischen Konfrontationen. Nur die Aktion “Öffentlichkeit ist eine Fiktion“ unterzog das Projekt selbst mit seinen eigenen Mitteln einer kritischen Revision. Darüber hinaus sah sich niemand veranlasst, auf einen Vorgang der “public stage“ aktuell zu reagieren. Die Aktion und deren zunächst von einer freudschen Fehlleistung gekennzeichnete Wiedergabe auf der Website, wo es kurzzeitig hieß “Öffentlichkeit ist eine Vision“, wiesen auf das Fazit des Projektes hin, wie es sich letztendlich in der konkreten Situation in Halle darstellte: die “public stage“ wurde von verschiedenen Initiativen genutzt, ihre Wirksamkeit als Kommunikationsfaktor blieb jedoch beschränkt. Nur Aktionen von einigermaßen professionellem Eventcharakter vermochten sich ein Publikum zu schaffen. Im Verlauf des Projektes tauchte die Überlegung auf, ob die “public stage“ nicht an einem belebteren Ort in der Stadt wirksamer und provokanter wahrgenommen worden wäre. Hätte sie in einer belebten Geschäftsstraße oder auf dem Marktplatz gestanden, wäre sie mehr die offene und öffentliche Bühne geworden, als die sie sich angeboten hat?

Hätte ihr soziales Potential dort deutlicher wirksam werden können auch ungeachtet der Tatsache, dass sie vom Museum entfernt vielleicht stärker in die Nähe der Werbeveranstaltungen gerückt wäre, die an solchen Orten stattzufinden pflegen? Wie schwierig derartige Konfrontationen sind, hatte im Jahr zuvor eine Initiative gezeigt, die in einem großen Warenhaus eine Ausstellung von Objekten aus dem Bereich der angewandten Kunst organisierte mit der Absicht, den Waren-charakter von Kunst zu hinterfragen. Der Kundschaft fiel die Ausstellung nur in geringem Maße als aus dem kommerziellen Rahmen fallend auf - es nahm sie im wesentlichen kaum als Fragestellung wahr, weil der kommerzielle Kontext auch sie dominierte.

Mischa Kuball erprobte die Verbindung zweier überkommener Spielorte von Inszenierung - das Museum und die Bühne - als Instumentarien für die Herstellung von Öffentlichkeit. Das voraussetzungslose Hantieren machte allerdings eher Defizite sichtbar, als dass es sie zu beheben und eine relevante öffentliche Kommunikation herzustellen vermochte. Dass “public stage“ auf die Manipulation von Kommunikation verzichtete, bedeutete nicht per se, dass sich eine unabhängige Kommunikation herstellte. Interesse kann abgerufen bzw. erzeugt werden, wenn Bedürfnisse analysiert und wahrnehmbar gemacht werden. Der Verzicht auf ein interessenorientiertes Betreibersystem bedeutete nur bedingt eine selbständige, subjektive Bedürfnis- und Interessenbildung. Gerade Künstler und Museum aber können die Manipulationsmechanismen thematisieren und alternative Modelle - auch wenn sie nur begrenzt wirksam werden können - zu konstruieren suchen. So legt das Potential und der Verlauf von “public stage“ bei aller Unvollkommenheit des Projektes nahe, dass das Museum sich nicht nur als Institution für einen kulturellen Output, sondern als Podium versteht, das für den Transfer verschiedener kultureller Interessen und Äußerungen im Sinne einer Öffentlichmachung und kritischen Reflexion zur Verfügung steht.

 

 

Anmerkungen

(1) Goodrow, Gèrárd A., Hans Ulrich Reck: project rooms, Mischa Kuball. Köln 1997

(2) Michael Fehz (Hrsg.): open box, Köln 1998




In: Mischa Kuball: 'public stage': project documentation Moritzburg Halle/Saale Germany 2000/2001", ed.: Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, Halle Salon Verlag, Köln 2001 , p. 11-17.

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