Reinhard Spieler



Mischa Kuball: SIX-PACK-SIX

Ein Installationsprojekt des Museum Folkwang für

den RWE-Turm in Essen

 

Eine Intervention hat den gewohnten Charakter des Raumes vollkom-

men verändert: Unvermittelt findet sich der Besucher im kreisrunden

Foyer des RWE-Turms im Zentrum eines regelrechten Kreuzfeuers. Eine

ganze Phalanx von Diaprojektoren ist auf ihn gerichtet. Von dreizehn

großen schwarzweißen Fotofolien, die ringsum an der transparenten

Glashülle des RWE-Gebäudes angebracht sind, blicken Projektoren, in

Zweier-, Dreier- und Sechsertürmen gestapelt oder nebeneinander

gestellt, mit ihren grellen Linsen zum Zentrum hin; auf dem Boden ste-

hen auf großen Spiegelflächen sechs weitere Projektoren, die zur Mitte

des Foyerraums hin ausgerichtet sind. Der Besucher sieht sich selbst ins

Licht gesetzt. Anstatt, wie üblich, eine Projektion zu verfolgen und zu

beobachten, wird er unversehens selbst zur Projektionsfläche und zum

Objekt der Beobachtung. Es entfaltet sich ein komplexes und irritieren-

des Spiel mit wechselnden Perspektiven von Sein und Schein, von

Wirklichkeit und Projektion, von Wahrnehmung und Reflexion der

Wahrnehmung, von Beobachtung und Selbstbeobachtung.

 

Nichts scheint so, wie man es eigentlich erwartet. Die Diaprojektoren,

eigentlich nur technisches Vehikel zur Projektion von Bildern, lassen hier

nicht Bilder entstehen, sondern sind selbst zum Bild geworden und han-

deln nun auf einer metaphorischen Ebene über das Entstehen und

Projizieren von Bildern. Medium und Botschaft sind vertauscht, oder

vielmehr: das Medium selbst ist zur Botschaft geworden. Allerdings ver-

weist das Bild in seiner materiellen Beschaffenheit auf die Wirkungs-

weise eines Projektors. Als transparente Fotofolie kann es nur durch

einen entsprechenden Lichteinfall - eben eine Projektion - seine

Wirkung entfalten. Das Bild des eingeschalteten Diaprojektors sugge-

riert künstliches elektrisches Licht, das aber in diesem Falle erst dann

zur Geltung kommt, wenn das (natürliche) Tageslicht durch die Fotofolie

scheint -Wirklichkeit und Bild, Sonnenlicht und Projektion ergänzen und

durchdringen sich hier gegenseitig.

Mit den Projektoren, die auf dem Boden stehen, pointiert Kuball die

Reflexion des Mediums zusätzlich. Auch diese Projektoren sind - ebenso

wie diejenigen auf der Fotofolie - nicht technisch funktionsfähig, son-

dern haben ihre Wirkungsweise auf eine andere, eben künstlerische,

Ebene verlegt. Es sind Abgüsse von Originalgeräten und damit Skulp-

turen; das von Kuball verwendete silberspiegelnde Aluminium als

Gussmaterial formuliert ganz unmittelbar die mediale Selbstreflexion

und -referenzialität - das Medium ist zum Spiegel seiner selbst gewor-

den und spiegelt sich zudem in den Spiegeln auf dem Boden, auf denen

die Projektoren jeweils platziert sind.

Eine Wandlung hat auch der Raum vollzogen, der durch die Spiegel auf

dem Boden auch noch einmal besonders inszeniert und - analog zu den

Projektoren - reflektiert wird. Zudem stellen die Bilder der Diaprojek-

toren auch auffällige formale Bezüge zum Raum her. Sowohl die

Rundmagazine als auch die runde, lichtdurchflutete Linsenöffnung wie-

sen auf die lichte, kreisrunde Raumkonzeption des Architekten Christoph

Ingenhoven. Die transparenten Fotofolien verwandeln den gesamten

Foyerraum in einen Projektionskörper und machen ihn damit zum Bild,

so wie auch die Diaprojektoren einen Funktionswandel vom technischen

Gerät zum Bild bzw. zur Skulptur vollzogen haben. Die Eingriffe in den

Raum sind auf das Zentrum hin fokussiert, das programmatisch leer,

oder besser: offen bleibt. Offen als Denk- und Projektionsraum für den

Betrachter und Besucher als eigentlichen Zielpunkt der künstlerischen

Eingriffe.

 

Das von Kuball aufgestellte Bezugssystem bleibt dabei keineswegs eine

Einbahnstraße, die beim Betrachter endet. So kehrt sich nachts die

Richtungsdynamik der Projektion um, Die vom Künstler vorgesehene

helle Beleuchtung des Innenraums wirkt dann wie eine Projektorlampe,

die durch die Fotofolien nach außen strahlt. Die Installation trägt so der

veränderten Betrachtersituation Rechnung - Projektionsraum ist nun

nicht mehr der Innen-, sondern der Außenraum. Das Gebäude ist dann

leer, potentielle Betrachter sind Passanten, die außen am Gebäude vor

beigehen.

Doch auch tagsüber richten sowohl die spiegelnden Projektorskulpturen

als auch die transparenten Fotofolien ihre Dynamik nicht nur zum

Betrachter hin, sondern ermöglichen auch einen Perspektivwechsel in

die andere Richtung. Gerade bei den Fotofolien inszeniert Kuball eine

paradoxe Situation insofern, als ausgerechnet die strahlende Linse des

Projektors, die die geballte Energie auf den Betrachter richtet und ihn zu

blenden, also die Sicht zu nehmen scheint, auch den ungehinderten

Durchblick nach außen ermöglicht. Indem der Betrachter nach außen

blickt, wird er gleichzeitig durch den Bild gewordenen Lichtstrahl nach

innen auf sich selbst zurückgeworfen. Der Blick nach außen entpuppt

sich gleichzeitig als nach innen gerichtete Projektion. Kuballs Versuchs-

anordnung zielt entsprechend auf das Verhältnis des Individuums zu sei-

ner Umwelt: Was ist Wirklichkeit? Existiert sie nur als eigene Projektion,

als innere Vorstellung? Inwieweit stimmen solche Vorstellungen mit

Wahrnehmungsprozessen überein? Wie kongruent sind die äußerlich

wahrgenommenen mit den innerlich projizierten Bildern von der

Wirklichkeit?

 

SIX-PACK-SIX ist in dieser Konstellation eine Arbeit, die wichtige

Parameter von Mischa Kuballs künstlerischem Ansatz formuliert. Seine

Kunst ist zunächst einmal keine materielle, sondern eine konzeptionelle.

Projektion und Projekt sind dabei zentrale Begriffe, die - nicht nur

begrifflich - eng miteinander zusammenhängen. Jedes seiner Projekte,

die fast ausschließlich temporären Charakter haben und darin schon

eine gewisse Immaterialität ausstrahlen, beginnt als Projektion - als

Wille und Vorstellung in der Phantasie des Künstlers, die sich an einer

spezifischen Situation, bestehend aus architektonischen, historischen,

sozialen und vielfältigen anderen Komponenten, entzündet. Kuball wird

oftmals als Lichtkünstler bezeichnet. Zutreffender wäre es allerdings, ihn

einen Projektionskünstler zu nennen. Die Projektion ist ihm adäquates

künstlerisches Mittel und Medium, einen gedanklichen Prozess visuell zu

übersetzen. Die Projektion entspricht als Lichtstrahl der Immaterialität

von gedanklichen Prozessen, die ihr innewohnende Energie und ihre

Richtungsdynamik den auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Ideen und

Vorstellungen, die in unserem Sprachgebrauch ja ebenfalls als Projektion

bezeichnet werden. Projektionen in diesem Sinne sind eigene Vorstel-

lungen, negativ formuliert auch Klischees - wiederum ein Begriff, der

eng mit der Welt der Bilder verknüpft ist - ‚ die man auf andere Men-

schen oder Situationen überträgt. Genau diesen Prozess vollzieht Kuball

in seinen Arbeiten: Er macht mit seinen Lichtprojektionen historische,

soziale, politische und ökonomische Prozesse sichtbar und zeigt allein

schon in der Wahl seines Mediums, wie solche Prozesse durch Projek-

tionen, also durch eigene Vorstellungen, die man anderen unterstellt,

entstehen. Das weithin leuchtende Licht setzt Zeichen, die mentale

Konstellationen sichtbar werden lassen.

 

So wie Kuballs Projektions-Projekte temporären Charakter haben, sind

sie in der Regel auch an einen spezifischen Raum gebunden, der durch

den künstlerischen Eingriff eine metaphorische Dimension gewinnt. Das

Verhältnis von Innen und Außen spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Refraction house von 1994

befasste sich mit der ehemaligen Synagoge in Stommeln. Kuballs Eingriff

leistete Erinnerungsarbeit an die Geschichte der Juden in Deutschland

zu einem Zeitpunkt, da Gewalt gegen ausländische Bürger in Mölln,

Solingen oder Rostock eine erschreckende Aktualität erlangte. Kuball

verschloss den ehemaligen Kultraum, der schon während der Nazizeit

nicht mehr genutzt wurde und deshalb die Pogrome überdauerte, und

platzierte innen starke Schweinwerfer, die nicht nur die ehemalige

Synagoge zum Leuchten brachten, sondern grelles Licht auf die Um-

gebung warfen: das Licht als unübersehbares Zeichen an sich, unmittel-

barer Ausdruck von Aufklärung und Wahrheit, Illumination der Erinnerung,

aber eben auch Schlaglicht auf eine Umgebung, die sich dieser

unangenehmen Situation wie auf dem Präsentierteller nicht entziehen

konnte.

 

Umgekehrt ging Kuball bei seinem Projekt Projektion/Reflektion ein

Jahr später in der Kunst-Station St. Peter in Köln vor. Dort strahlten

Scheinwerfer von einem außen vor der Kirche angebrachten Gerüst durch

die Kirchenfenster nach innen. Dadurch entstand einerseits ein Bezug

zur gotischen Konzeption der Kirche als einem diaphanen Raum, in dem

sich göttliches Licht als Abglanz des himmlischen Jerusalems manifestiert,

andererseits wurde aber mit dem Kunstlicht auch eine heutige (technische)

Realität einbezogen, die im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Licht auf

den Glaubensraum warf.

Im Innenraum waren Spiegel angebracht, die dieses neue Licht und den

Besucher bzw. Gläubigen in diesem neuen Licht reflektierten. Die Mög-

lichkeit, sich zu seiner Situation und Umgebung immer wieder in reflek-

tierende Distanz begeben zu können, ist eine der wichtigsten Zielset

zungen von Kuballs Arbeit. SIX-PACK-SIX verbindet in seiner transparen-

ten Struktur die Konzeption von Stommeln und St. Peter. Innen und

Außen sind nicht fest definiert, sondern überlagern sich in einem stän-

dig möglichen dynamischen Perspektivwechsel von Wahrnehmung, Pro-

jektion und Selbstreflexion. In dieser Konstellation entwirft Kuball eine

Versuchsanordnung, die auch dem spezifischen Ort Rechnung trägt,

handelt es sich doch um einen Konzern, für den die Projektion eigener

Ideen und Ziele ebenso wichtig ist wie der Perspektivwechsel, solche

Ziele aus der Sicht von Markt und Umwelt zu hinterfragen.

 

Daneben sind die Bilder und Skulpturen vom Kodak-Carousel-Diapro-

jektor aber auch eine Art persönliche Liebeserklärung Kuballs an ein

Gerät, das aufgrund seiner Zuverlässigkeit und nicht zuletzt auch auf-

grund des Designs von Dieter Rahms längst zum Klassiker geworden ist,

mit dem Generationen von Künstlern gearbeitet haben. 1997 hatte er

dem Gerät, das seit Jahren die Vorraussetzung seiner Projektionen von

Licht und Bildern darstellt, die Reverenz in einer Serie von Fotos und

Diaprojektionen von dem Kodak-Projektor erwiesen, die auch die Grund-

lage für die Installation im RWE-Foyer bilden. Die vordergründig tech-

nisch und nüchtern-dokumentarisch wirkenden Bilder werden so auch

Ausdruck einer sehr persönlichen Geschichte.

 

 

Parallel zur Ausstellung SIX-PACK-SIX im RWE-Turm präsentiert das

Museum Folkwang in seinen Räumen eine weitere Installation von

Mischa Kuball mit dem Titel PROJEKTIONSRAUM 1:1:1 / FARBRAUM.

Die Installation SIX-PACK-SIX steht unter dem Motto “Folkwang im

Turm“ und ist nach Children of Berlin im Museum Folkwang und

Kontrapunkt im RWE-Turm das dritte Ausstellungsprojekt der längerfri-

stig angelegten Partnerschaft zwischen der RWE AG und dem Museum

Folkwang zur Förderung zeitgenössischer Kunst.

 

 

In: Mischa Kuball: SIX-PACK-SIX: Ein Installationsprojekt des Museum Folkwang für den RWE-Turm, Essen, ed.: RWE AG, Essen 2000.

 

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