Ein Installationsprojekt des Museum Folkwang für
den RWE-Turm in Essen
Eine Intervention hat den gewohnten Charakter des Raumes vollkom-
men verändert: Unvermittelt findet sich der Besucher im kreisrunden
Foyer des RWE-Turms im Zentrum eines regelrechten Kreuzfeuers. Eine
ganze Phalanx von Diaprojektoren ist auf ihn gerichtet. Von dreizehn
großen schwarzweißen Fotofolien, die ringsum an der transparenten
Glashülle des RWE-Gebäudes angebracht sind, blicken Projektoren, in
Zweier-, Dreier- und Sechsertürmen gestapelt oder nebeneinander
gestellt, mit ihren grellen Linsen zum Zentrum hin; auf dem Boden ste-
hen auf großen Spiegelflächen sechs weitere Projektoren, die zur Mitte
des Foyerraums hin ausgerichtet sind. Der Besucher sieht sich selbst ins
Licht gesetzt. Anstatt, wie üblich, eine Projektion zu verfolgen und zu
beobachten, wird er unversehens selbst zur Projektionsfläche und zum
Objekt der Beobachtung. Es entfaltet sich ein komplexes und irritieren-
des Spiel mit wechselnden Perspektiven von Sein und Schein, von
Wirklichkeit und Projektion, von Wahrnehmung und Reflexion der
Wahrnehmung, von Beobachtung und Selbstbeobachtung.
Nichts scheint so, wie man es eigentlich erwartet. Die Diaprojektoren,
eigentlich nur technisches Vehikel zur Projektion von Bildern, lassen hier
nicht Bilder entstehen, sondern sind selbst zum Bild geworden und han-
deln nun auf einer metaphorischen Ebene über das Entstehen und
Projizieren von Bildern. Medium und Botschaft sind vertauscht, oder
vielmehr: das Medium selbst ist zur Botschaft geworden. Allerdings ver-
weist das Bild in seiner materiellen Beschaffenheit auf die Wirkungs-
weise eines Projektors. Als transparente Fotofolie kann es nur durch
einen entsprechenden Lichteinfall - eben eine Projektion - seine
Wirkung entfalten. Das Bild des eingeschalteten Diaprojektors sugge-
riert künstliches elektrisches Licht, das aber in diesem Falle erst dann
zur Geltung kommt, wenn das (natürliche) Tageslicht durch die Fotofolie
scheint -Wirklichkeit und Bild, Sonnenlicht und Projektion ergänzen und
durchdringen sich hier gegenseitig.
Mit den Projektoren, die auf dem Boden stehen, pointiert Kuball die
Reflexion des Mediums zusätzlich. Auch diese Projektoren sind - ebenso
wie diejenigen auf der Fotofolie - nicht technisch funktionsfähig, son-
dern haben ihre Wirkungsweise auf eine andere, eben künstlerische,
Ebene verlegt. Es sind Abgüsse von Originalgeräten und damit Skulp-
turen; das von Kuball verwendete silberspiegelnde Aluminium als
Gussmaterial formuliert ganz unmittelbar die mediale Selbstreflexion
und -referenzialität - das Medium ist zum Spiegel seiner selbst gewor-
den und spiegelt sich zudem in den Spiegeln auf dem Boden, auf denen
die Projektoren jeweils platziert sind.
Eine Wandlung hat auch der Raum vollzogen, der durch die Spiegel auf
dem Boden auch noch einmal besonders inszeniert und - analog zu den
Projektoren - reflektiert wird. Zudem stellen die Bilder der Diaprojek-
toren auch auffällige formale Bezüge zum Raum her. Sowohl die
Rundmagazine als auch die runde, lichtdurchflutete Linsenöffnung wie-
sen auf die lichte, kreisrunde Raumkonzeption des Architekten Christoph
Ingenhoven. Die transparenten Fotofolien verwandeln den gesamten
Foyerraum in einen Projektionskörper und machen ihn damit zum Bild,
so wie auch die Diaprojektoren einen Funktionswandel vom technischen
Gerät zum Bild bzw. zur Skulptur vollzogen haben. Die Eingriffe in den
Raum sind auf das Zentrum hin fokussiert, das programmatisch leer,
oder besser: offen bleibt. Offen als Denk- und Projektionsraum für den
Betrachter und Besucher als eigentlichen Zielpunkt der künstlerischen
Eingriffe.
Das von Kuball aufgestellte Bezugssystem bleibt dabei keineswegs eine
Einbahnstraße, die beim Betrachter endet. So kehrt sich nachts die
Richtungsdynamik der Projektion um, Die vom Künstler vorgesehene
helle Beleuchtung des Innenraums wirkt dann wie eine Projektorlampe,
die durch die Fotofolien nach außen strahlt. Die Installation trägt so der
veränderten Betrachtersituation Rechnung - Projektionsraum ist nun
nicht mehr der Innen-, sondern der Außenraum. Das Gebäude ist dann
leer, potentielle Betrachter sind Passanten, die außen am Gebäude vor
beigehen.
Doch auch tagsüber richten sowohl die spiegelnden Projektorskulpturen
als auch die transparenten Fotofolien ihre Dynamik nicht nur zum
Betrachter hin, sondern ermöglichen auch einen Perspektivwechsel in
die andere Richtung. Gerade bei den Fotofolien inszeniert Kuball eine
paradoxe Situation insofern, als ausgerechnet die strahlende Linse des
Projektors, die die geballte Energie auf den Betrachter richtet und ihn zu
blenden, also die Sicht zu nehmen scheint, auch den ungehinderten
Durchblick nach außen ermöglicht. Indem der Betrachter nach außen
blickt, wird er gleichzeitig durch den Bild gewordenen Lichtstrahl nach
innen auf sich selbst zurückgeworfen. Der Blick nach außen entpuppt
sich gleichzeitig als nach innen gerichtete Projektion. Kuballs Versuchs-
anordnung zielt entsprechend auf das Verhältnis des Individuums zu sei-
ner Umwelt: Was ist Wirklichkeit? Existiert sie nur als eigene Projektion,
als innere Vorstellung? Inwieweit stimmen solche Vorstellungen mit
Wahrnehmungsprozessen überein? Wie kongruent sind die äußerlich
wahrgenommenen mit den innerlich projizierten Bildern von der
Wirklichkeit?
SIX-PACK-SIX ist in dieser Konstellation eine Arbeit, die wichtige
Parameter von Mischa Kuballs künstlerischem Ansatz formuliert. Seine
Kunst ist zunächst einmal keine materielle, sondern eine konzeptionelle.
Projektion und Projekt sind dabei zentrale Begriffe, die - nicht nur
begrifflich - eng miteinander zusammenhängen. Jedes seiner Projekte,
die fast ausschließlich temporären Charakter haben und darin schon
eine gewisse Immaterialität ausstrahlen, beginnt als Projektion - als
Wille und Vorstellung in der Phantasie des Künstlers, die sich an einer
spezifischen Situation, bestehend aus architektonischen, historischen,
sozialen und vielfältigen anderen Komponenten, entzündet. Kuball wird
oftmals als Lichtkünstler bezeichnet. Zutreffender wäre es allerdings, ihn
einen Projektionskünstler zu nennen. Die Projektion ist ihm adäquates
künstlerisches Mittel und Medium, einen gedanklichen Prozess visuell zu
übersetzen. Die Projektion entspricht als Lichtstrahl der Immaterialität
von gedanklichen Prozessen, die ihr innewohnende Energie und ihre
Richtungsdynamik den auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Ideen und
Vorstellungen, die in unserem Sprachgebrauch ja ebenfalls als Projektion
bezeichnet werden. Projektionen in diesem Sinne sind eigene Vorstel-
lungen, negativ formuliert auch Klischees - wiederum ein Begriff, der
eng mit der Welt der Bilder verknüpft ist - ‚ die man auf andere Men-
schen oder Situationen überträgt. Genau diesen Prozess vollzieht Kuball
in seinen Arbeiten: Er macht mit seinen Lichtprojektionen historische,
soziale, politische und ökonomische Prozesse sichtbar und zeigt allein
schon in der Wahl seines Mediums, wie solche Prozesse durch Projek-
tionen, also durch eigene Vorstellungen, die man anderen unterstellt,
entstehen. Das weithin leuchtende Licht setzt Zeichen, die mentale
Konstellationen sichtbar werden lassen.
So wie Kuballs Projektions-Projekte temporären Charakter haben, sind
sie in der Regel auch an einen spezifischen Raum gebunden, der durch
den künstlerischen Eingriff eine metaphorische Dimension gewinnt. Das
Verhältnis von Innen und Außen spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Refraction house von 1994
befasste sich mit der ehemaligen Synagoge in Stommeln. Kuballs Eingriff
leistete Erinnerungsarbeit an die Geschichte der Juden in Deutschland
zu einem Zeitpunkt, da Gewalt gegen ausländische Bürger in Mölln,
Solingen oder Rostock eine erschreckende Aktualität erlangte. Kuball
verschloss den ehemaligen Kultraum, der schon während der Nazizeit
nicht mehr genutzt wurde und deshalb die Pogrome überdauerte, und
platzierte innen starke Schweinwerfer, die nicht nur die ehemalige
Synagoge zum Leuchten brachten, sondern grelles Licht auf die Um-
gebung warfen: das Licht als unübersehbares Zeichen an sich, unmittel-
barer Ausdruck von Aufklärung und Wahrheit, Illumination der Erinnerung,
aber eben auch Schlaglicht auf eine Umgebung, die sich dieser
unangenehmen Situation wie auf dem Präsentierteller nicht entziehen
konnte.
Umgekehrt ging Kuball bei seinem Projekt Projektion/Reflektion ein
Jahr später in der Kunst-Station St. Peter in Köln vor. Dort strahlten
Scheinwerfer von einem außen vor der Kirche angebrachten Gerüst durch
die Kirchenfenster nach innen. Dadurch entstand einerseits ein Bezug
zur gotischen Konzeption der Kirche als einem diaphanen Raum, in dem
sich göttliches Licht als Abglanz des himmlischen Jerusalems manifestiert,
andererseits wurde aber mit dem Kunstlicht auch eine heutige (technische)
Realität einbezogen, die im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Licht auf
den Glaubensraum warf.
Im Innenraum waren Spiegel angebracht, die dieses neue Licht und den
Besucher bzw. Gläubigen in diesem neuen Licht reflektierten. Die Mög-
lichkeit, sich zu seiner Situation und Umgebung immer wieder in reflek-
tierende Distanz begeben zu können, ist eine der wichtigsten Zielset
zungen von Kuballs Arbeit. SIX-PACK-SIX verbindet in seiner transparen-
ten Struktur die Konzeption von Stommeln und St. Peter. Innen und
Außen sind nicht fest definiert, sondern überlagern sich in einem stän-
dig möglichen dynamischen Perspektivwechsel von Wahrnehmung, Pro-
jektion und Selbstreflexion. In dieser Konstellation entwirft Kuball eine
Versuchsanordnung, die auch dem spezifischen Ort Rechnung trägt,
handelt es sich doch um einen Konzern, für den die Projektion eigener
Ideen und Ziele ebenso wichtig ist wie der Perspektivwechsel, solche
Ziele aus der Sicht von Markt und Umwelt zu hinterfragen.
Daneben sind die Bilder und Skulpturen vom Kodak-Carousel-Diapro-
jektor aber auch eine Art persönliche Liebeserklärung Kuballs an ein
Gerät, das aufgrund seiner Zuverlässigkeit und nicht zuletzt auch auf-
grund des Designs von Dieter Rahms längst zum Klassiker geworden ist,
mit dem Generationen von Künstlern gearbeitet haben. 1997 hatte er
dem Gerät, das seit Jahren die Vorraussetzung seiner Projektionen von
Licht und Bildern darstellt, die Reverenz in einer Serie von Fotos und
Diaprojektionen von dem Kodak-Projektor erwiesen, die auch die Grund-
lage für die Installation im RWE-Foyer bilden. Die vordergründig tech-
nisch und nüchtern-dokumentarisch wirkenden Bilder werden so auch
Ausdruck einer sehr persönlichen Geschichte.
Parallel zur Ausstellung SIX-PACK-SIX im RWE-Turm präsentiert das
Museum Folkwang in seinen Räumen eine weitere Installation von
Mischa Kuball mit dem Titel PROJEKTIONSRAUM 1:1:1 / FARBRAUM.
Die Installation SIX-PACK-SIX steht unter dem Motto “Folkwang im
Turm“ und ist nach Children of Berlin im Museum Folkwang und
Kontrapunkt im RWE-Turm das dritte Ausstellungsprojekt der längerfri-
stig angelegten Partnerschaft zwischen der RWE AG und dem Museum
Folkwang zur Förderung zeitgenössischer Kunst.
In: Mischa Kuball: SIX-PACK-SIX: Ein Installationsprojekt des Museum Folkwang für den RWE-Turm, Essen, ed.: RWE AG, Essen 2000.
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