Das Projekt
Der Konzeptkünstler Mischa Kuball beschäftigt sich seit einigen Jahren
in seinen Arbeiten mit der Schnittstelle von Kunst, Architektur und so-
zialem Handeln. Für die Johanneskirche entwickelte er die Idee zu einem
temporären Eingriff in den Sakralraum. Dieser erfolgte behutsam und
unter Beteiligung aller Nutzer und Besucher.
Das Projekt „Ein Fenster“ war eine starke baulicher Intervention. Vor das
linke Fenster im Altarraum der Johanneskirche wurde ein 9 x 4 Me-
ter hohes System aus eloxiertem Aluminium gesetzt.
Die architektonische Vorgabe der ‚alten‘ Fenster im sogenannten
Rundbogenstil ist nicht einfach überformt, sondern sie bleibt in Geltung
und sichtbar. Wegen der Konstruktion und der Statik wurde der Architekt
Reiner Bruckhaus hinzugezogen, die ausführende Firma rückte
mit drei riesigen vorgefertigten Rahmenteilen an und die Gemeinde-
leitung merkte erst jetzt, wie groß die Veränderung des Raumes und
der Gesamtsituation der Johanneskirche sein würde.
„Ein Fenster“ war ein interaktives Projekt, das die Besucher und Be-
sucherinnen insofern einbezog, als jedes Feld des Fensters nach Ent-
würfen und auf Anregungen hin neu gestaltet werden konnte. Sie
benutzten dafür Farben, einzelne Begriffe, Sätze, Fotos oder Bilder.
Am 15. Juni 2000 konnte der erste Zustand ausgestellt werden. Er basierte
auf einer Ideensammlung des Pfarrkollegiums der Johanneskirche und
der Setzung des Künstlers. Er hatte sich entschieden, alle in diesem
Material möglichen Farben zweifach in unsystematischer Anordnung
auftauchen zu lassen. An drei Feldern zeigten sich die Gestaltungs-
möglichkeiten: In 10 Meter Höhe war der Aktienindex aus der FAZ
zu sehen, ein Bibelwort „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“
und die Worte und Pilze“ als Anspielung auf Natur und Rausch.
Geplant waren Wechsel des Gesamtzustandes, aber als der Bomben-
anschlag am Wehrhahn auf dem Gebiet der Johanneskirche die Gemüter
beschäftigte, sprach sich Pfarrer Dirk Holthaus dafür aus, das Fenster zu
nutzen und ein Bild von dem Ort gedenkend einzubeziehen. So wurde im
August das Fahndungsfoto, mit dem die Polizei Hinweise zum Brand-
anschlag am Wehrhahn suchte, ohne den Text sehr gut sichtbar hinzugefügt.
Das machte deutlich, wie eindrucksvoll durch das Fenster Themen in den
Kirchenraum integriert werden konnten.
Der erste große Wechsel des Gesamtbildes fand im November 2000 statt.
Mittlerweile war eine Jury gebildet worden, der der Künstler beobachtend
und für die Umsetzung beratend zur Seite stand. Aus der Vielzahl unter-
schiedlichster Herangehensweisen, die von Kollagen über Fotos, bis hin
zu Sinnsprüchen, Bleistiftzeichungen und kleinen Gemälden reichten,
wählte die Jury sieben Einzelentwürfe aus, um die Varianten zu zeigen.
So war eine Frau aus einer Sonnenmilch-Werbeanzeige ausgeschnitten
worden, die nun in der Vergrößerung auf der Scheibe dasaß unter einem
Sonnenschirm als meditiere sie. Eine Wolke war zu sehen als Hinweis auf
einen Zustand des Himmels außerhalb der Johanneskirche. Von einem
Konfirmanden stammt eine Kollage, die einen Sportwagen mit Kölner
Kennzeichen, ein Laptop und eine Flugzeug zusammenenbringt unter der
Überschrift: wir brauchen.
Das Foto eines Ausschnitts der Gebetswand als Analogie zum Fenster
und der Satz eines Clubgängers, der sich ein House aus Steinen, die ihm
der Di auf die Tanzfläche wirft, bauen möchte. Die Zeichnung einer
Raumfähre und ein Bild eines 2 1/2 Jährigen von seinem stolzen Großvater
eingereicht, vervollständigten den Eindruck. Um die Prägnanz nicht in
wechselnden Farben zu verstecken, wählte die Jury für die restlichen 25
Felder einen warmen Gelbton.
Der zweite Wechsel, der bis zum Juni 2001 zu sehen war, folgte einem
anderen Prinzip. Die Entscheidung, die vier Felder einer Querreihe von
einem Thema oder einen Ansatz bestimmen zu lassen fiel, als die Jury
zwei Entwürfe auswählte. Der eine schlug vor, eine Leiter an den Rahmen
des Fensters reichen zu lassen und einen Spiegel einzusetzen, der zweite
schlug zwei Reihen vor, die die Zeichen eines Persönlichkeitstests verwen-
den.
Dann wurde eine Reihe aus den vielen Zeichnungen von Schülern zusam-
mengestellt: eine Reihe zeigte den artifiziellen Umgang mit Natur, eine
das Anzeigenfoto von holländischen Tulpenfeldern, eine Reihe Augen-
kollagen als ungewöhnliche Reflektion des eigenen Blickes, der hundert-
fach zurückschaut und eine Reihe einen Satz aus einem Begleitschreibens
der viel über das Selbstverständnis der Mitmachenden aussagt: „Von
meinem Vorschlag weiß ich wohl, dass er gut ist, viele Menschen zum
Weiterdenken, mehr noch, zum Mitfühlen anregen könnte“.
Die Jury hat sich entschieden, ihn als Kommentar zum Gesamtprozess
aufzugreifen.
Von Beginn an gehörte die Veröffentlichung aller eingereichten Ent-
würfe zum Projekt. So finden sich in diesem Buch alle Vorschläge, die
mit Namen versehen abgegeben wurden ohne Unterschied, ob realisiert
oder nicht. Der nun wie der leere Kirchenraum fordert angesichts der
Vielfalt zu eigenen Entscheidungen und Vorstellungen heraus.
In: Mischa Kuball: ein fenster: eine Dokumentation. Johanneskirche Stadtkirche Düsseldorf, Köln: Salon Verlag 2001, S. 35-37.
© All rights reserved by the author.